Die Zeit der Stalinistischen Säuberungen
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Erzwungene Geständnisse der Beschuldigten
Im August 1938 wurden elf Personen aus Friedenstal und dem Nachbarort Wyschina (dt. 1941-1944 Hermannstal) durch das NKWD verhaftet. Die Bearbeitung ihres Falls dauerte so lange, dass ihre Verurteilung erst am 17. Oktober 1939 stattfand – bereits nach dem Ende der Hochphase der Stalinistischen Säuberungen. So wurden sie alle zu drei oder fünf Jahren Lagerstrafe verurteilt und entgingen der unmittelbaren Erschießung.
Beim Studieren der Ermittlungsakten in diesem Fall fällt schnell ein Schema auf: Alle Verhafteten – mit Ausnahme einer Person – sollen bei ihrem ersten Verhör die vorgeworfenen Straftaten zugegeben und umfangreiche Aussagen getätigt haben, stritten den Inhalt der Angaben aber in späteren Befragungen ab.
Es ist bekannt, dass mindestens fünf der elf Verurteilten das Gulag überlebten. Sie bemühten sich später um ihre Rehabilitation, wodurch erneut Befragungen stattfanden und Zeugenaussagen eingeholt wurden.
Der Beschuldigte Otto Laitenberger machte in seiner späteren Befragung das deutlich, was die unzähligen Opfer der Stalinistischen Säuberungen nicht sagen konnten: Der Inhalt der Verfahrensakten ist fingiert und kann die Wahrheit nicht widerspiegeln.
Im Jahr 1938 wurde ich vom NKWD verhaftet und beschuldigt, Mitglied einer konterrevolutionären Organisation zu sein. Jedoch war ich kein Mitglied einer solchen Organisation und weiß über sie auch nichts. Tatsächlich habe ich während der Untersuchungen von den Ermittlern erstellte Protokolle unterzeichnet, in denen die Rede davon war, dass ich und andere Personen Mitglieder einer aufständischen Organisation waren und Arbeit gegen die Sowjetregierung betrieben. Genauer sagen, was in diesen Protokollen stand, kann ich nicht, da ich sie unterschrieb, ohne sie zu lesen. Die Ermittler zwangen mich, die erfundenen Aussagen zu unterschreiben – sie schlugen mich, stellten mich aufs „Förderband“ (sie befragten mich für längere Zeit ohne Pausen) und brachten mich in einem „Dampfbad“ unter – in einer Kammer mit hoher Temperatur.
– Otto Laitenberger, Aussage am 24.12.1959
Original: Russische Sprache
Quelle: DAOO, F. R-8065, Op. 2, Spr. 3581-3582.
Text
- Kühlbauch, Eduard (d. Josefs), geb. 06.01.1896 Neuburg, Kolchosarbeiter in Friedenstal
- Schock, Johannes (d. Jakobs), geb. 25.07.1887 Marienberg, Zimmerer (Kolchos) in Friedenstal
- Schock, Jakob (d. Christians), geb. 15.08.1889 Sofiental, Kolchosarbeiter in Friedenstal
- Fischer, Ferdinand (d. Davids), geb. 01.09.1898 Krontal/Krim, Kolchosarbeiter in Wyschina
- Mayer, Friedrich (d. Christians), geb. 13.11.1892 Alexanderhilf, Wächter (Kolchos) in Friedenstal
- Kühlbauch, Eduard (d. Eduards), geb. 28.12.1914 Friedenstal, Fuhrmann (Kolchos) in Friedenstal
- Stotz, Christian (d. Christians), geb. 07.08.1910 Friedenstal, Traktorist (MTS) in Friedenstal
- Schneider, Johannes (d. Johanns), geb. 19.11.1907 Friedenstal, Traktorist (MTS) in Friedenstal
- Laitenberger, Otto (d. Wilhelms), geb. 16.05.1911 Koscharka, Sachbearbeiter in Wyschina
- Riegel, Jakob (d. Jakobs), geb. 12.06.1908 Friedenstal, Veterinär (Kolchos) in Friedenstal
- Schock, Johannes (d. Johannes), geb. 31.07.1894 Sofiental, Fuhrmann (Kolchos) in Friedenstal
Text
Erzwungene Falschaussagen von Zeugen
Der Fall von Johann Leicht zeigt exemplarisch, wie durch die Ermittler und Mitarbeiter des NKWD Falschaussagen von Zeugen erzwungen wurden.
Leicht stammte aus einer wohlhabenderen Familie, die 1907 nach Friedenstal kam. 1933 siedelte er mit seiner Familie in den Nachbarort Wyschina (dt. 1941-1944 Hermannstal) über und arbeitete im dortigen Blücher-Kolchos (seit 1938 Kirow-Kolchos). Er wurde am 29. Dezember 1937 verhaftet und am 22. Februar 1938 wegen konterrevolutionärer Tätigkeiten zu zehn Jahren Lagerstrafe verurteilt, die er im Kraslag verbrachte.
Aus dem Gulag heraus legte Leicht mit Schreiben vom 12.05.1939 Beschwerde ein. Er legte dar, nie irgendeiner konterrevolutionären Tätigkeit nachgegangen zu sein und dies auch nicht beabsichtigte.
Hieraufhin wurden tatsächlich erneut Ermittlungen aufgenommen, bei denen die bereits befragten Zeugen erneut vorgeladen und neue Beurteilungen über Leicht angefordert wurden.
Bei den neuen Befragungen gaben die früheren Zeugen zu, unwahre Aussagen gemacht und falsche Beurteilungen unterschrieben zu haben. Unter diesen Personen befanden sich der damalige Vorsitzende des Trechgrader Dorfsowjets, Idel Hozkosik (1882-1941) und der Vorsitzende des Kirow-Kolchos in Wyschina, Pjotr Simonow (1906-1941).
Trotz dessen wurde die Verurteilung Leichts aufrechterhalten. Leicht wurde schließlich am 05.10.1959 durch das Präsidium des Odessaer Gebietsgerichts aufgrund Mangels an Beweisen rehabilitiert.
Quelle: DAOO, F. R-8065, Op. 2, Spr. 2372.
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Fügt man die Inhalte aller Akten zusammen, entsteht ein umfangreiches Bild über eine angebliche antisowjetische Organisation… Es werden mehrere „Brennpunkte“ aufgezeigt, an dem zuerst ein „Hauptschuldiger“ gefunden wurde und nach dessen Verhaftung auch andere Personen aus seinem Umfeld verhaftet wurden.
Im Zuge der Verhaftungen wurde oftmals vorgefundenes Bargeld (z. B. aus der Arbeit im Kolchos) konfisziert und später durch die Staatskasse eingezogen.
Bereits im Vorfeld wurde v. a. „Kulaken“ ab etwa 1933 die Ausgabe von Ausweisen verweigert. Viele dieser Personen reisten hiernach in die Stadt Perwomajsk aus.
Erschießungen fanden nachts statt. Aus den vorliegenden Akten ist teilweise ersichtlich, dass Erschießungen im Minutentakt vorgenommen wurden. Es wurden auch Frauen verurteilt, diese stellten jedoch nur eine sehr kleine Minderheit dar (im vorliegenden Material klar unter 1 %).
Auskunft an die Angehörigen
Den Angehörigen der Verhafteten war lange nicht bekannt, was aus ihnen wurde.
Insbesondere in den Fällen der zur Todesstrafe verurteilten wurden die Angehörigen lange von Seiten der Behörden bewusst getäuscht. Einer Richtline des KGB im Ministerrat der UdSSR (Nr. 108ss vom 24. August 1955) zufolge sind den Angehörigen von Erschossenen falsche Angaben mitzuteilen, das Sterbedatum ist in die Jahre des Zweiten Weltkriegs zu datieren.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und Ankunft in den Sondersiedlungen schrieben viele an die Behörden und baten um Auskunft darüber, wo sich ihr Angehöriger befinde. In einem konkreten Beispiel wurde den Angehörigen von Friedrich Kirsch (1908-1937) auf ihre Anfrage im Jahr 1959 hin mitgeteilt, dass Kirsch zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt wurde und am 22. September 1944 an Lungenentzündung verstorben sei. Tatsächlich wurde Kirsch jedoch am 18. Oktober 1937 zur Todesstrafe verurteilt und am 30. Oktober 1937 in Tiraspol erschossen.